EAST COAST – WEST COAST
Interview mit Thomas Raab


Sigrid Kurz: Kennst du den Film von Robert Smithson East Coast - West Coast?

Thomas Raab: Nein (lacht). Erste Antwort ist schon erledigt. Sehr gut. Naechste Frage. Nein, komischerweise habe ich den nicht gesehen. War der in der Kunsthallen Ausstellung?

SK: Der war in der Ausstellung und wurde auf einem Monitor gezeigt.

TR: Ja, natuerlich kenne ich den. Das ist der eher kabaretistische mit der Lucy Lippard zusammen?

SK: Nein, mit Nancy Holt.

TR: Mit der Nancy Holt zusammen. Er ist glaube ich der West Coast Typ ..., so aus dem Bauch raus ...

SK: ... und sie die East Coast.

TR: Und sie ist so die East Coast Brainy. Doch, den habe ich gesehen. Hat mir gut gefallen. Sie haben sich einfach Rollen festgelegt. Ich wußte gar nicht, daß der so lustige Sachen gemacht hat.

SK: Der Film ist mir in Bezug auf dein Forschungsprojekt eingefallen, von dem du mir erzaehlt hast - ueber Technik und Gefuehle.

TR: Also wie das zusammengeht, meinst du?

SK: Technik und Gefuehle sind auch zwei Sachen, die man normalerweise nicht unbedingt zusammenbringt.

TR: Ja, stimmt. Das hat den Vorteil, daß dann alle gleich auflauschen, wenn man so etwas sagt (lacht).

SK: Genau (lacht).

TR: Soll ich das jetzt technisch begruenden?

SK: Nein nicht technisch begruenden, aber vielleicht nur kurz umreißen, wie du auf das gekommen bist.

TR: Wissenschaftlich gesehen ist das ja eigentlich Common sense. Wenn man sozusagen wissenschaftlich denkt, ist ja Emotion einfach ein Impuls, der irgendwas bewirkt. Einfach gesagt, es ist ein Zeichen und Gedanken sind auch Zeichen, im weitesten Sinne. Das heißt, wenn du dir ueberlegst, was jeden Moment mit dir passiert, wenn du dich sozusagen selbst beobachtest, wenn man das so bloed ausdruecken will, ist das einfach, daß man Sequenzen von Ereignissen hat. Also das sind entweder Wahrnehmungen oder Gedanken, was immer das sein soll. Es ist heute schließlich noch immer vollkommen unklar definiert, was ein Gedanke ist. Nehmen wir ein Beispiel: du schaust mich jetzt an und jetzt machst du die Augen zu und stellst dir mich vor. Und du kannst dir ja mich vorstellen?

SK: Ja.

TR: Dann ist da diese Vorstellung, der Eindruck den du hast, wenn du die Augen zumachst. Es ist schwer zu beschreiben was das ist. Es ist jedenfalls was anderes, als wenn du mich direkt anschaust. Es ist nur mehr deine Vorstellung von mir. Mach die Augen zu und schau, ob ein Bild da ist. Ist eins da? (lacht)

SK: Ganz schwach (lacht). Also man muß das Bild erst wieder herstellen, es ist nicht gleich da.

TR: Und wenn du es herstellst, wie schaut es aus? Das ist
unklar.

SK: Stimmt. Aber es gibt Augenblicke, wo man eine Person zum Beispiel klar sieht. Wenn man sich an jemanden erinnert, man glaubt dann zumindest, ihn oder sie ganz konkret vor sich zu haben. Das drueckt sich dann so aus, daß man irgendeine Bewegung oder einen Moment besonders abgespeichert hat. Aber das verschwindet dann sofort wieder.

TR: Ja. Tatsache ist, das wurde immer in der frueheren
Literatur gesagt, daß es so schemenhaft wird. Die sogenannten Bilder, die du hast, sind natuerlich keine Bilder, die ausschauen wie richtige Bilder. Im Traum ist es interessanter. Traeume sind interessanter, weil da hat man ja tatsaechlich den Eindruck etwas wahrzunehmen, was sozusagen wie wirklich ist. Aber es ist ja nicht so, wenn du die Augen zumachst und sozusagen eine Vorstellung von mir produzierst, daß die ausschaut, wie im Traum. Das ist was anderes. Tatsache ist, was immer hier ablaeuft, man kann sagen, es gibt irgendwelche Zeichen in dir, die irgendeine Funktion haben muessen. Die Ausgangsposition von meiner Arbeit ist - und das uebernehme ich eigentlich vom Mainstream - daß Menschen natuerlich im weitesten Sinne regelungstechnisch erklaerbare Organismen sind. Man wuerde ja kaum mehr jemanden finden, der das Gegenteil behauptet. Also der Gedanke ist irgendwie unangenehm, daß man eine Maschine ist und provoziert auch zum Teil. Aber wenn du wissenschaftlich [denkst] - wir leben ja in einem wissenschaftlichen Zeitalter - dann es ist merkwuerdig, daß sozusagen dieser letzte Schritt, den man da in dieser Denkweise geht, vor dem ...

SK: ... scheut man zurueck.

TR: Da scheue ich selber ja auch irgendwie zurueck. Der letzte Rettungsversuch ist ja jetzt in der Wissenschaft, daß man halt dann sagt, es ist OK, du kannst von mir aus menschenaehnliche Maschinen bauen und entwickeln, aber das "Bewußtsein" ist das, was eine kuenstlich erzeugte Maschine nie haben wird. Viele Philosophen und interessanterweise auch viele Wissenschafter sehen das so. Pragmatisch gesagt weiß man aber nicht, was dieses "Bewußtsein" ist. Und Emotionen sind eben auch so ein neuralgischer Punkt. Emotionen sind auch ein Ding, von dem viele Menschen behaupten, daß sie eine Maschine nicht haben kann. Was aber einfach von dem intuitiven Begriff abhaengt, den man von "Maschine" hat. Meinst du nicht? Es ist halt die Frage, wie du eine Maschine definierst.
Der Smithson geht ja auch immer auf diese Definitionsprobleme los. Das hat mich am Anfang interessiert, daß er an die Begriffe von Natur und Kultur nicht glaubt, letztlich. Und das Video ist mehr oder weniger eine Verarschung der Klischees, die die meisten von "intuitivem Kuenstler" einerseits und "konzeptuellem Kuenstler" oder "Wissenschafter" oder - noch schlimmer - "Theoretiker" andererseits haben.

SK: Eine ueberspitzte ...

TR: ... ueberspitzt und zwar in beide Richtungen. East Coast - West Coast, dieses Überintellektuelle wird einerseits verarscht und das Gefuehlsmaeßige wird auch verarscht.

SK: Darum hat mich interessiert, ob du den Film kennst. Welche Bereiche in der Wissenschaft findest du am interessantesten? Sind es gerade diese Bewußtseinsgeschichten?

TR: Ich bin ja wirklich ein Adept, weil ich einfach fuer mein Forschungsprojekt die Arbeit vom Ossi Wiener hernehme, die er ja seit ueber dreißig Jahren macht. Warum er mich interessiert hat war, weil ich natuerlich selber auch versuche literarisch zu arbeiten, was immer das sein mag. Aber gleichzeitig sehe ich nicht ein, eigentlich sehr aehnlich dem Thema von East Coast - West Coast, daß nicht eine oder jede Person auch beides dauernd tut, "intuitiv-kuenstlerisch" und "rational-wissenschaftlich" zu sein ... diese Dichotomie ist ja ein bißchen anoedend, verstehst du?

SK: Ja.

TR: Mich interessiert, wo das zusammenhaengt und in dem konkreten Fall war es einfach, da die Arbeit vom Wiener, dadurch das er im Kunstbetrieb ist und sich selber - wuerde ich bloed sagen - auch als Kuenstler sieht, einfach nicht im Wissenschaftsbetrieb rezipiert wird. Ich glaube aber, daß diese Arbeit extrem wichtig ist und daß das ein Weg ist, der einige Probleme, die sich die amerikanischen Kognitionsforscher und Hirnforscher schon ziemlich lang
stellen, zumindest besser loesen kann, als sie bis jetzt geloest sind. Und tatsaechlich ist da vieles schon von Wiener aufgeschrieben, aber eben "nur" auf deutsch und nicht in wissenschaftlichen Mainstream-Publikationen.

SK: Du gehst von seinen Schriften aus und analysierst sie.

TR: Ich exegier' sie (lacht). Was mich antreibt, oder was ich interessant finde an dem Modell vom Wiener, ist, daß er versucht, klassische erkenntnistheoretische oder psychologische Begriffe einfach im Rahmen der Automatentheorie darzustellen. Was einfach den Vorteil hat, daß die Automatentheorie eine Theorie ist, die mathematisch formuliert ist. Waehrend die Alltags- und große Teile der gegenwaertigen Hochschulpsychologie von Begriffen ausgeht, die einfach unklar sind. Jetzt gibt es ja fMRI-Scans und was weiß ich, aber du kannst noch so genau wissen, was neurophysiologisch im Hirn ablaeuft - wenn du keine stringente Erkennnistheorie hast, was das jetzt fuer diese umgangssprachlichen psychologischen Dinge bedeutet, dann kannst du es nie mit unserem alltaeglichen Selbstverstaendnis korrelieren. Es weiß z.B. niemand, was der umgangssprachliche Begriff "Wahrnehmung" bedeutet. Ich sehe meine Arbeit also als klassisch philosophische Arbeit, weil ich versuche, diese Begriffe im Rahmen der Automatentheorie zu definieren. Oder besser: Oswald Wiener versucht das und ich versuche einen Seitenstrang dieser Arbeit genauer zu bearbeiten, naemlich diese Emotionsbegriffe. Er hat schon einiges darueber geschrieben, aber es ist jetzt nicht so sein Spezialinteresse.

SK: Wie wuerdest du deine Arbeit beschreiben? Siehst du dich als Wissenschaftler, als Schreiber?

TR: Ich weiß es gar nicht genau, in welche Kategorie ich jetzt reinfalle. Mittlerweile bin ich immerhin so dandyistisch, daß ich etwas anderes sage, je nachdem, was wer hoeren will. Ganz nach Andy Warhol (lacht). Aber wenn ich auf einen Wissenschaftskongress gehe, dann bin ich auf jeden Fall ein Wissenschaftler, klar. Man koennte meine Arbeit auch als Kunstprojekt auffassen oder ueberhaupt als Literatur, dann wuerden mich aber die Wissenschafter nicht mehr ernst nehmen. Und "Schreiber", habe ich mir eine Zeitlang gedacht, "Schreiber" ist irgendwie gut, weil im Endeffekt sind die Produkte ja dann immer in irgendeiner Form Texte.

SK: Welches Basketballspiel hast du zuletzt gesehen?

TR: Warte, ich glaube, irgendwo auf Reisen, in irgendeinem Kabelkanal habe ich ein College-Basketballspiel gesehen (lacht), in Ljubljana wahrscheinlich.

SK: Und ein Live-Spiel (lacht)?

TR: Ach so, du meinst live. Das letzte war Roter Stern Belgrad gegen? ... In Wien war das naemlich, die haben den Europacup in Wien gespielt, weil Serbien ja blockiert und boykottiert war und da hat Roter Stern Belgrad in Wien spielen muessen. Und da war ich dort. Roter Stern gegen Panathinaikos Athen (lacht).


Wien, März 2001
(erschienen in ISSUES 11)

THOMAS RAAB, lebt als Kognitionsforscher und Schriftsteller in Düsseldorf und Wien. Sein Buch "Räson" soll im Herbst 2001 erscheinen.


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