PLANETARISCHE GÄRTEN
Wilhelm Klauser


ZIMMERPFLANZEN
Im Herbst und Winter des Jahres 1999 fand eine grosse Ausstellung im “Espace Boris Vian” im Park von La Villette statt. Umgerüstet zu einem Kulturzirkus funktionieren die alten Viehhallen der Schlachthöfe von Paris blendend und die französischen Energieunternehmen finanzierten darin mit Freuden den “planetarischen Garten”, wie das Unternehmen von Gilles Clement, Landschaftsplaner, Schriftsteller und Generalkommisar der Ausstellung getauft worden war. Eine ausgefeilte Reklamekampagne machte auf das Ereignis schon Wochen vorher aufmerksam und die Eintrittskarten für die Ausstellung, die Teil der Milleniumsfeierlichkeiten des Staates war, liessen sich in den grossen Medienhäusern von Frankreich im Vorfeld kaufen. Der Erfolg war programmiert und die Botschaft lautete: Die ganze Welt ist ein Garten und alle Menschen sind die Gärtner!

Der Unterhaltungswert der Show war beträchtlich. In der gußeiserne Halle war eine grosse, schräge Fläche eingebracht, die grosszügigste bepflanzt wurde. Es fand sich, repräsentativ, ein Querschnitt vegetalen Wirkens. Die Besucher konnten durch “wilde” Natur wandern, Australien durchstreifen, sich in den Mangrovensümpfen des Amazonas verfangen und schliesslich bei den Moosen Mitteleuropas ausruhen. Dazwischen gab es grosse Lupen fürs Detail, Bildschirme aus Gewohnheit und Tierstimmen obendrein.

Jeder wäre wohl hingerissen von dem Charme und der Geschicklichkeit, mit der hier das Problem der Ganzheitlichkeit eines Systems ausgebreitet wurde. Beruhigend war es aber vor allem, wie sich plötzlich innerhalb der ausweglosen Kreisläufe und der bekannten Katastrophenszenarien kleine Strohhalme zeigten, an die es sich zu klammern lohnte - die vielleicht bei entsprechendem Engagement doch noch das ganze Elend dieser Welt zu einem guten Ende führen könnten... In dieser Halle also, inmitten der “gefangenen” Natur, schwappte plötzlich eine ungeheure Welle des Wohlwollens und der Fürsorge. Die Ahnung von einem möglichen Happy End breitete sich aus: Die Natur war gut aufgehoben, eingebunden in ein System staatlicher und privatwirtschaftlicher Vorsorge!

BALKONPFLANZEN
Unmittelbar am Quartier “Antigone” - einstmals von Ricardo Bofill entworfen - sind 64 Wohneinheiten entstanden, die zur Zeit in Frankreich grosses Aufsehen erregen. Erstaunlich sind dabei weder die massive Ausnutzung des Grundstückes noch die erschreckende Effizienz der Grundrissgestaltung. Dies alles ist ganz offensichtlich den vertrauten privatwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen des Bauherren zu verdanken, die längst nicht mehr wahrgenommen werden. Ungewohnt ist allerdings die ausgesprochen fremdartige Fassade des Gebäudes.

Edouard François hat sie eigens für ein neues Haus in Montpellier entwickelt:In eine Stahlschalung wird ein Korb aus Edelstahlgewebe eingelegt. Dann schichten die Arbeiter poröses Gestein ein und schütten Sand auf. Einige Jutesäcke, die mit Erdreich und Samen von Steinbrechgewächsen gefüllt sind, werden aufgelegt. Eine erste, dünne Betonschicht wird als Ausgleich eingegossen auf die, inklusive einer Bewehrung, die zweite, tragende Betonschicht aufgebracht ist. Die Schalungen werden entfernt und der Sand, der locker zwischen den Steinen liegt, wird mit Wasser ausgespült. Die porösen Steine, die das Wasser gut halten, werden nach Fertigstellung der ganzen Fassade noch mit einer Nährflüssigkeit beschossen und es werden von Hand Sukulenten eingepflanzt: Voilá - die spriessende Fassade!

Enorme, weit auskragende Balkone gibt es ausserdem selbst in den kleinsten Wohnungen, die für eine einseitige Ausrichtung oder innenliegende Bäder und Küchen kompensieren. Es sind Räume im Freien, die im mediterranen Klima sicherlich gerne angenommen werden. Zwischen den Bäumen des Gartens hat Edouard François dann auf hohen Stelzen manchen Wohnungen der Nordfassade sogar dachlose Holzverschläge vorgelagert. Dies sind tatsächliche Baumhäuser, die von der Etage über Brücken erreicht werden können. Eine eigenwillige und sicherlich nicht billige Lösung, die die Bewohner der geschwungenen Nordfassade neben dem Blick auf den kleinen Fluss auch noch etwas Sonne zuteilt. Die Wohnungen im “Château de Lez” - wie das Ganze ob seiner massiven Erscheinung dann verkaufsfördernd genannt wurde - waren in Windeseile vergeben. Das “spriessende Haus”, so nennt der Architekt seine Schöpfung, ist begehrt.

PARKANLAGEN
Mit der Anpassung der Architektur an die Natur, einer Koexistenz zwischen Geplantem und Gewachsenem, dem Bemühen, zwischen den Polen zu vermitteln oder gar einem Wiederaufleben wohlmeinender ökologischer Pflanztaktiken aus den 70er Jahren haben beide Unternehmungen herzlich wenig zu tun. Selbstverständlich werden die Wälder und der Baumbestand des Grundstückes in Montpellier erhalten, werden sogar noch grosse Bäume zugepflanzt. Selbstverständlich appellierte die Ausstellung in La Villette an ein wie rudimentär auch immer entwickeltes ökologisches Unterbewusstsein. Aber die Materialisierung der Vegetation und die Instrumentalisierung ihres zufälligen Wachstums zeigt, wie grundsätzlich sich die Zeiten gewandelt haben: Die Natur trägt einer neuen Form von gesellschaftlichem Repräsentationsbedürfnis Rechnung. Nicht mehr ausschliesslich die Privatisierung von Grund und Boden ist ein Zeichen von Erfolg sondern letztendlich die Kontrolle der Vegetation. Ihre Pflege verfolgt nicht mehr ein praktisches Ziel, sei es nun engagiert eine Verbesserung der Umwelt oder lediglich banaler Ackerbau. Statt dessen haben eindeutig die dekorativen und strategischen Überlegungen den Vorrang. Die Baumhäuser, die Edouard François in Montpellier gebaut hat, stehen auf goldenen Stützen und die Natur von Gilles Clement wird dort installiert, wo in direkter Umgebung unmittelbar die Insignien von technischem Fortschritt und Wissenschaft angesiedelt sind, neben dem enormen Technikmuseum von Paris.

STADT-NATUR
Natürlich liegen bei der pragmatischen Auseinandersetzung der Architektur mit der Natur, die hier praktiziert wird, Erschrecken und Verwunderung eng beieinander. Denn eigentlich ist die Natur, auch wenn sie sich in der Wahl des Bewuchses und im Standort verwegen-verwildert gibt, recht zurechtgestutzt in der Stadt angekommen. Kapriziös ist sie und sich durchaus ihrer Wirkung bewusst, wenn sie sich so exotisch gibt. Zuerst war sie noch schüchtern gewesen, als sie vor zehn Jahren an den Rändern des damals neuen Parks André Citroën in Paris in den seriellen Gärten von Gilles Clement auftrat. Kleine Dioramen waren das, die Ungewohntes und Fremdes in die geordnete Welt des Gartenbaus trugen. Von erhöhtem Standpunkt und aus sicherer Entfernung konnten sie betrachtet werden und die Tatsache, dass sie sich ordnungsgemäss an der Peripherie des Parkes aufgereiht hatten, zeigte, dass sie den städtebaulichen Ordnungssystemen der Hauptstadt auch die entsprechende Referenz erweisen wollten. Und dann wurde wenig später gar ein Pinienwald in den Innenhof der neuen Nationalbibliothek gepflanzt. Das war zwar ein wilder und ungehobelter und recht grosser Wald, aber auch er war nur ein Kontemplationsraum, der sich nicht betreten ließ. Es fand sich also in diesen Projekten eine Natur, die sich nicht mehr wie bisher in Rabatten und auf kurzgeschnittene Wiesen halten ließ, die aber dennoch eine unüberbrückbare Distanz zur Stadt bewahrte und damit auch für den Betrachter einen letzten und durchaus rätselhaften Wert behielt.

DOMESTIZIERUNG
Die Formen städtischer Naturverwertung, wie sie im Park André Citroën oder auch in der Bibliothek betrieben werden, sind unter strengen ökologischen, technischen oder funktionalen Gesichtspunkten natürlich weitgehend belanglos. Sie konnten aber durch die ästhetische Distanz, mit der sie sich dem Alltag stellten, in Frankreich eine überraschend suggestive Wirkung entfalten. Und es war dieser Abstand, der auch noch von anderen in den letzten Jahren aufgelegten Natur-Projekten ausgeht, der der ganzen Entwicklung einer botanisierenden Architektur eine gewisse Breitenwirkung sicherte. In Frankreich hat ein Quantensprung in Sachen Begrünung stattgefunden!

Damit ist allerdings auch der Abstand zwischen Stadt und Natur offensichtlich endgültig aufgehoben worden, und es ist eine eigenartige Pflanzenwelt, die sich in überraschender Nähe zur Architektur ausbreitet. Waren es anfangs noch Ferienhäuser, weit abgelegen in der Provinz, die diese eigenartige Form von Naturnähe praktizierten, sind es plötzlich höchst repräsentative Projekte, die die Natur in die Stadt bringen. War gerade im Ferienhaus trotz der gekonnten Mimikry, mit der es sich in die Natur einband, immer noch der letzte Rest eines ursprünglich urbanen Erfahrungsraumes zu entdecken, der sein Entstehen protegiert hatte, tritt nun unversehens die Ferienstimmung direkt in die Stadt. Das opulente Aufscheinen der Vegetation an prominenter Stelle ist allerdings nicht der endgültige Triumph der Natur über die Stadt, sondern von oberster Stelle sanktionierter und kontrollierter Wildwuchs, der enorme Renditen verspricht: Ein kulturelles Statement der Freizeitgesellschaft.

Die Installation einer Wildnis in einer Halle oder auch die Einrichtung einer vertikalen Wachstumswand an einem banalen Mehrfamilienhaus sind dabei eigenwillige Illustrationen der Domestizierung und Abrichtung des Natürlichen. Es handelt sich um ästhetische Sonderräume, denen nicht mehr nur ein repräsentativer sondern reflexhaft auch musealer Wert zugestanden ist. Wenn in vier Jahren, aller Voraussicht nach, das Museum für die “ersten Künste” eröffnet, soll es sich in einem richtigen Wald verbergen, der unmittelbar neben dem Eiffelturm angelegt werden wird. Nach den Vorschlägen von Gilles Clement und Jean Nouvel werden sich die gebauten Konturen des einzigen grossen Projektes der Ära Jacques Chirac zwischen Baumkronen und Lianen verlieren, wird das Haus auf einem Meer von Magnolienbäumen aufliegen. Die Besucher werden über Wiesen auf den Eingang zuschreiten. Dass in dem vollkommen städtischen Kontext, in dem diese Naturalisierung durchgeführt wird, damit das Fremde und gleichzeitig das Vertraute installiert wird, ist entwerferisches Kalkül: Der Wald muss betreten werden, um das Museum zu erreichen.

HAUS-NATUR
Es entsteht ein heterogenes Bild, das sowohl alles verheisst als aber auch nur eine Illustration der eigenen Ratlosigkeit sein kann. Der neue Urwald um das neue Museum deformiert das Bild einer repräsentativen Stadtfassade und eines Museums für die ethnographischen Sammlungen der Hauptstadt genauso wie er sein eigenes Bild destabilisiert und nur noch das Zitat einer Ursprünglichkeit sein kann. In diesem irritierenden Nebeneinander von Wildnis und Artefakt liegt das Risikio und die Chance der Entwicklung. Nicht auszuschliessen, dass sich hinter tarnenden Hecken und hinter Glasschirmen, die mit Pflanzen bedruckt werden, tatsächlich eine unerwartete Flexibilität auftun wird, eine Bereitschaft, sich ernsthaft mit der Situation auseinanderzusetzen und unerwartete Lösungen und Ansätze zu entwickeln. Sehr wohl ist es möglich, dass sich am Quai Branly durch den Wald hindurch eine neue Sichtweise auf andere Kulturen ergibt und dass ihre Akzeptanz nicht mehr ausschliesslich über Exotisierung oder den Grad der Ausbeutbarkeit entschieden wird. Genauso ist es aber denkbar, dass augenblicklich lediglich eine neue Form der Naturverwertung erfunden wird und eine Optimierung unter rein hedonistischen Gesichtspunkten stattfindet. Das Haus-Tier würde dann durch eine Haus-Natur ergänzt.


Paris, April 25, 2000

WILHELM KLAUSER, Architekt und Kritiker, lebt und arbeitet in Paris
wklauser@pop.wanadoo.fr


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